Mittwoch, 6. Juni 2007

Wie ein Protestcamp funktioniert: Selbstverwaltung mit internationalem Flair

(Michael Kömm) Für junge Globalisierungskritiker ist es eine Frage des Anstands, während der Aktionen rund um den G8-Gipfel in ein Camp zu gehen statt in ein Hotel. Denn schließlich heißt Globalisierungskritik auch Konsumkritik. Und tatsächlich, das Leben in einem Camp ist viel angenehmer, als es sich die meisten vorstellen können. Zunächst einmal kommt dort ein ganz bunter und vor allem internationaler Haufen von Menschen zusammen, die sich in ihren jeweiligen Gruppierungen in sog. Barrios (spanisch für Stadtviertel) zusammenschließen. In verschiedenen Konzerten und Diskussionsrunden mit globalisierungskritischer Prominenz wie John Holloway und Elmar Altvater bieten sich viele Möglichkeiten des Austausches der verschiedenen Gruppierungen und Einzelpersonen. Besonders beliebt sind dabei Blockadetrainings, die neben Blockadetipps vor allem rechtliches Wissen vermitteln sollen, so daß jedeR selbst entscheiden kann, wieviel zivilen Ungehorsam er/sie ausüben möchte.

Die Camps sind komplett selbstverwaltet, wobei die Camp AG des Protest-Bündnisses (www.camping-07.de) eine tolle Vorarbeit geleistet und die grundlegende Infrastruktur vorbereitet hat. Zur täglichen Selbstverwaltung gehören u.a. das Kochen in Volkxküchen (Voküs), Spüldienst, Sicherung vor unerwünschten Gästen (vor allem Nazis und Polizei) und die allgemeinen Absprachen in Plenumssitzungen. Auch die Sauberkeit der Sanitäranlagen wie Dixi-Toiletten und Freiluftduschen (mit erfrischendem kühlem Naß) wird selbst organisiert und funktioniert bisher ausgesprochen gut. Das Essen ist jeweils rein vegan und aus biologischem Anbau und wird gegen eine freiwillige Spende von jeweils zwischen 2-3 Euro ausgegeben. Die Übernachtung an sich ist kostenlos, wobei jedoch um eine Spende von 5 Euro pro Person/Nacht gebeten wird – soziale Diskriminierung soll aber klar vermieden werden.

Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen den Camps: So war ich die ersten beiden Tagen im Camp in Rostock-Bramow, das auf einem alten Industriegelände Platz für 5000 Personen bietet. Aufgrund des hohen Interesses mußte dieses spontan erweitert werden, was auch die Atmosphäre des Camps etwas hektisch machte. Um einiges ruhiger und beschaulicher ist dagegen das Camp im 16 km entfernten Reddelich, in dem ich seit einigen Tagen – zusammen mit 4000 weiteren AktivistInnen – bin. Die Anbindung nach Rostock ist durch einen stündlich pendelnden Zug (Tag und Nacht!) gesichert. Letztlich es ist der einzige Nachteil der Camps, daß man viel zu viele interessante Menschen trifft und es ein stückweit guter Disziplin bedarf, neben den netten Gesprächen auch seine Arbeitsaufgaben zu erledigen. Doch diese Disziplin ist es auf jeden Fall wert, das internationale Flair des selbstverwalteten Zusammenlebens zu genießen.

Photo: Protest-Camp Reddelich. In der Nähe, zwischen Bad Doberan und Kühlungsborn, wo das Medienzentrum liegt, demonstrieren heute zwischen 8000 und 10000 Menschen gegen den G8-Gipfel.

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