Mittwoch, 16. Mai 2007

Gastkommentar: Ein Anflug von Scheinheiligkeit in der Klimapolitik

Von Wolfgang Sachs

Keiner der Präsidenten und Regierungsschefs in Heiligendamm – auch Bush und Putin nicht – wird es sich nehmen lassen, die Ressourcenkrise zur Überlebensfrage der Menschheit auszurufen. Doch in den Folgerungen werden sich die Geister scheiden: das Verbrauchsniveau senken oder ein neues Energieangebot erschließen? Viele werden ihre Hoffnung auf neue Funde in der Arktis, unter den Meeresböden oder in Ölschiefer setzen, oder Abscheide- und Lagertechnologien für C02 sowie Offshore-Windparks oder die industrielle Produktion von Biokraftstoff propagieren. Viel weniger entspricht es aber der Expansionslogik, statt auf einen Ausbau des Energieangebots auf eine Rückführung des Bedarfs zu setzen. Eine Leistungsbegrenzung im Automobilbau, ein Umstieg zu ökologischem Landbau oder auch nur – wie in Australien – ein Ausmustern konventioneller Glühbirnen, würde da schon einschneidendere Zeichen setzen.

Außerdem werden sich auf der erweiterten Angebotspalette für Energieerzeugung alte und neue Risikotechnologien finden. Kohle zum Beispiel hilft zwar in Sachen Energiesicherheit, erhöht aber das Klimarisiko. Und wie versucht wird, der Ressourcenklemme durch einen (Wieder-) Einstieg in Risikotechnologie zu entgehen, zeigt sich augenfällig an der Atomenergie. Beide Technologien übrigens, die CO2-Abscheidung für Kohlekraftwerke und die Fortdauer von Atomkraftwerken verstecken sich auch hinter dem hehren Ziel der Europäischen Union, 30% Rückbau der Emissionen bis 2020 zu erreichen. Nimmt man noch die Aussicht auf Plantagen gentechnisch manipulierter Energiepflanzen dazu, wird deutlich, daß hinter der Ausrufung des Energienotstands so manches Trojanisches Pferd erweiterter Naturbeherrschung Eingang in die Umweltpolitik finden kann.

Ferner lohnt es sich, auf geographische Verlagerungen bei Energiebedarf und Klimagasen zu achten. Denn in Europa werden energie-intensive Fertig- oder Halbfertigprodukte aus den Branchen Stahl, Aluminium, Zement, Chemie zunehmend aus dem Ausland importiert. Daher fällt ein Teil des Energiebedarfs der Industrieländer mitsamt den Emissionen mittlerweile in China und anderen Schwellenländern an. So werden Belastungen im globalen Umweltraum transnational hin- und hergeschoben. Zuviel Stolz in die eigenen Reduktionsleistungen haben da leicht einen Anflug von Scheinheiligkeit, ebenso wie Appelle an die Schwellenländer, die Kurve ihres Energiewachstums flacher zu halten.

Dr. Wolfgang Sachs ist Wissenschaftler am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie. Von ihm erschien (zusammen mit T. Satorius u.a.) Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit, München 2005 und ein Aufsatz in H.Melber/C. Willss (Hg.), G8 Macht Politik. Wer beherrscht die Welt?, Frankfurt/Main 2007; s. Amazon-Links:




Wuppertal-Institut, Fair Future - Begrenzte Ressourcen und Globale Gerechtigkeit, München 2005



Henning Melber/Cornelia Wilss (Hg.), G8 Macht Politik. Wie die Welt beherrscht wird, Frankfurt/Main 2007

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