Montag, 28. Mai 2007

Gastkommentar: Für eine Renaissance der Abrüstungsdebatte

Von Claudia Roth, MdB

Die weltweiten Ausgaben für Rüstung haben erstmals die Grenzen von 1000 Mrd. € überschritten. Das meldete letzte Woche das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC). Damit stiegen die weltweiten Rüstungsausgaben seit 2001 um 25%. Die G8-Staaten sind dabei für die höchsten Militärausgaben, Rüstungsarsenale sowie Nuklear- und Rüstungsexporte verantwortlich. Allein auf die USA entfallen ca. 46% aller Militärausgaben. Zudem wird das Gros der atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen, der Streubomben, Antipersonenminen und Kleinwaffen in den Staaten der G8 hergestellt, gelagert oder von diesen Staaten exportiert. Den G8-Staaten kommt daher für den Abbau der Rüstungspotentiale, die Nichtweiterverbreitung von Waffen jeglicher Art und eine effektive Politik der zivilen Krisenprävention eine entscheidende Rolle zu.

Doch bisher erleben wir keine Anstrengungen, diese Potentiale abzubauen. Im Gegenteil. Wir erleben eine sich immer schneller drehende, gefährliche Spirale der Aufrüstung. Rußland will aus dem KSE-Vertrag aussteigen, plant eine Modernisierung seiner Atomstreitkräfte und die Stationierung neuer Interkontinentalraketen. Großbritannien modernisiert seine Trident-Atomrakten, und Frankreich ändert seine Nukleardoktrin und droht, künftig Atomwaffen „flexibel“ einzusetzen. Die USA wollen neue Atomsprengköpfe entwickeln, durchlöchern mit dem Nukleardeal mit Indien den Nichtverbreitungsvertrag und heizen mit der Debatte um die Raketenabwehr Aufrüstungsbestrebungen an. Mittlerweile steigen die USA und Rußland wieder in einen Teufelskreis der Aufrüstung und Konfrontation ein, der die Stabilität der internationalen Beziehungen bedroht.

Auch die Krise um die atomare Bewaffnung von Nordkorea, das Atomprogramm des Iran und das US-indische Atomgeschäft verdeutlichen, daß wir vor einer entscheidenden weltpolitischen Weichenstellung stehen. Es droht ein neuer Rüstungswettlauf, an dessen Ende eine Vielzahl neuer Atomwaffenstaaten, Nuklearterrorismus und der Kollaps der vertragsgestützten Rüstungskontrolle stehen könnte. Diese Entwicklung läßt sich nur durch eine neue und ernsthafte Abrüstungs- und Nichtverbreitungsinitiative stoppen.

Um von Nicht-Kernwaffenstaaten glaubhaft den Verzicht auf Atomwaffen verlangen zu können, müssen die Atomwaffenstaaten ihren Verpflichtungen zur irreversiblen nuklearen Abrüstung nachkommen. Hierzu gehören das rasche Inkrafttreten des Atomteststoppvertrages und der überprüfbare Abbau der taktischen Atomwaffenpotentiale Rußlands und der USA, inklusive der in Deutschland und Europa stationierten US-Atomwaffen. Dabei muß die Bundesregierung deutlich machen, daß sie einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten US-Atomwaffen begrüßt und bereit ist, aus der aktiven nuklearen Teilhabe baldmöglichst auszusteigen.

Es ist ein schwerer Fehler, daß von Seiten der Bundesregierung keine substantiellen Vorschläge für eine Abrüstungspolitik erfolgen. Sie macht sich damit mitverantwortlich für die gefährlichen Entwicklungen. Dringend bedarf es einer Renaissance der Abrüstungsdebatte. Es sieht alles danach aus, als würde die deutsche Bundesregierung ihre Chance, die sich aus der Doppelpräsidentschaft bei G8 und EU ergibt, verspielen.

Claudia Roth (auf dem Photo bei einer Protestaktion vor dem Sicherheitszaun in Heiligendamm) ist Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied des Deutschen Bundestags.

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